Eule 🦉
29 subscribers
226 photos
56 videos
139 links
Das Wort zum Alltag

Buchvorstellungen, interessante Links, der tägliche Wahnsinn und sinnloses Gelaber - alles in einem Kanal.
Und Katzenfotos ^^

Chat: https://t.me/buchclub
Goodreads: goodreads.com/user_marseule

www.eulenalltag.de
Download Telegram
Olivier Bourdeaut - Warten auf Bojangles

Das Buch wird aus der Sicht zweier Personen erzählt: Vater und Sohn. Sie berichten abwechselnd vom verrückten Leben ihrer Familie: Die Ehefrau und Mutter hat jeden Tag einen anderen Vornamen, ein großer tropischer Vogel lebt bei ihnen in der Wohnung, es gibt oft Partys bis in die Nacht, ein Senator geht bei ihnen ein und aus, Nina Simones Song Mr Bojangles wird jeden Tag gespielt. Der Sohn bekommt Heimunterricht, denn keine Schule kann sich mit dem bunten Treiben zu Hause messen, und kein Lehrer kann einem die wirklich wichtigen Dinge beibringen. Da er noch sehr jung ist, ist seine Sicht der Welt noch unschuldig und unverstellt. Für ihn ist alles ein großer Spaß, der niemals enden soll.

Am Anfang wirkt diese Geschichte wie eine schillernde Diskokugel. Alles ist bunt, alles verrückt, fast surreal, und man fragt sich, was man denn da für ein Buch erwischt hat. Dann, nach und nach, beginnt man zu verstehen, dass das Leben, das die Drei führen, nicht aus Glitzer besteht, sondern aus Glassplittern.

Das Hörbuch ist nur 3 Stunden lang, und man möchte meinen, das sei viel zu kurz für eine richtige Geschichte. Um so erstaunter ist man dann, wenn man begreift, wie viel Inhalt Bourdeaut in dieses kleine Buch gepackt hat. Die Figuren wirken lebendig, die Handlung ist erst schräg und witzig, dann zunehmend bedrückender, bis man einen Kloß im Hals hat, der nicht mehr verschwinden will.

Ein Buch, das ich ganz sicher noch öfter hören werde. Sehr schön ❤️.

#euleliest #eulehört #olivierbourdeaut #wartenaufbojangles #buchtipp
Vom Winde verweht

Nach mehr als 20 Jahren bin ich nach Tara zurückgekehrt.
Damals, Mitte der 90er sah ich das beeindruckend dicke Taschenbuch im hiesigen Laden und wusste: das will ich haben. Als ich es las, atemlos, fasziniert, berauscht, bis in die Abendstunden hinein, schon im Dunkeln sitzend, unfähig aufzustehen, um Licht zu machen, war mir klar, dass ich eines der besten Bücher der Welt in den Händen halte.
Jahrelang hatte ich nicht den Mut, Vom Winde verweht noch einmal zu lesen. Was, wenn ich dadurch den Zauber zerstöre? Was, wenn es mir als Erwachsene nicht mehr so gut gefällt?
Vor Kurzem entdeckte ich das ungekürzte Hörbuch, gelesen von Ulrich Noethen und 41 Stunden lang. Natürlich habe ich es mir geholt. Jetzt höre ich es - und der ganze Zauber ist noch da. Er ist sogar noch gewachsen. Jetzt habe ich unzählige Bücher in meinem Leseerfahrungen-Gepäck und kann vieles besser erkennen, die Zusammenhänge besser begreifen, die Figurenzeichnungen noch mehr würdigen.

Im Mittelpunkt des Romans steht Scarlett O'Hara, eine verwöhnte Plantagenbesitzer-Tochter. Der Bürgerkrieg macht aus dem leichtsinnigen Mädchen eine junge Frau mit stählernem Willen, eiserner Entschlossenheit und der Kraft einer Löwin.
Es ist sehr schwer, Scarlett zu mögen. Sie ist dickköpfig, oberflächlich, gewohnt, ihren Willen zu bekommen, und wohl die selbstsüchtigste Person der Welt. Scarlett setzt sich in den Kopf, Ashley Wilkes zu heiraten, der eine andere liebt, und setzt alles daran, ihn zu bekommen.
Ihr wahres Ich durchschaut nur einer, der zynische Rhett Butler. Im Laufe der Geschichte treffen die beiden immer wieder aufeinander, dann fliegen die Fetzen.

Ich habe jetzt ein gutes Drittel des Romans hinter mir. Es gibt so viele starke Stellen in diesem Buch, dass ich herumrennen und sie jedem unter die Nase reiben möchte. Gerade habe ich die Szene gehört, in der Scarlett und Melanie über dem toten Yankee stehen und Scarlett zum ersten Mal erkennt, dass sie nicht nur beide den selben Mann lieben, sondern auch in einigen anderen Dingen gleich ticken.

#euleliest #eulehört #margaretmitchell #vomwindeverweht #lieblingsbücher #buchtipp
Unterleuten von Juli Zeh

Um deutsche Prosa mache ich normalerweise einen großen Bogen. Nun geschah es aber, dass mir Unterleuten von Juli Zeh empfohlen wurde und ich der empfehlenden Person in dieser Hinsicht vertraue. Also Taschenbuch gekauft, überlegt, zum Hörbuch gegriffen und innerhalb von 2 Tagen gehört. Es sind 18 Stunden Hörzeit oder über 600 Seiten Text. Ziemlich umfangreich.
Ich ging an dieses Buch ohne große Erwartungen, wusste nur, dass die Handlung in einem kleinen Ort in Ostdeutschland spielt. Buchtechnisch war ich dort seit Tschick nicht mehr. Über kleine deutsche Ortschaften zu lesen reizt mich eigentlich nicht. Doch Unterleuten packte mich sofort und wirbelte mein Innerstes wie mit einem Mixer durch.

Worum geht es?
Schauplatz der Geschichte ist Unterleuten, ein kleines verschlafenes Dorf, ca. 70 km von Berlin entfernt, mit etwa 200 Einwohnern. Hier geschieht fast nie etwas, die Einwohner interessieren sich nicht für die große weite Welt "draußen". Es gibt einige neu zugezogene Familien, die sich gegen die Großstadt und für das Landleben entschieden haben. Hin und wieder sieht man Touristen, vor allem Hobby-Ornithologen, denn die Gegend ist als Nistplatz einer seltenen Vogelart bekannt.
Eines Tages will ein Energiekonzern einen Windpark in der Nähe errichten. Schon beginnt es unter der so ruhig scheinenden Oberfläche von Unterleuten zu brodeln. Alte Feindschaften werden zutage gefördert, der Familienzusammenhalt bröckelt, Verdächtigungen und Vermutungen machen die Runde, DDR-Altlasten gehen hie und dort hoch, Gewaltausbrüche entstehen dort, wo niemand mit ihnen gerechnet hätte.

Das Setting erinnerte mich manchmal an Ein plötzlicher Todesfall von J. K. Rowling. Auch in jenem Buch geht es um eine kleine Gemeinde, in der es plötzlich zu köcheln beginnt, die Ereignisse bald den Siedepunkt erreichen und alles in einer Katastrophe endet.

Die Situation in Unterleuten wird gegen Ende des Buches mit einem Kaleidoskop verglichen. Durch die kleinste Bewegung ordnen sich die bunten Steinchen um und bilden neue Muster. Das geschieht auch mit den Figuren und dem Leser. Nach einem Kapitel meint man, die Figur, um die es gerade geht, kennengelernt zu haben, doch das nächste Kapitel wirft alles, was man gerade noch zu wissen geglaubt hat, über den Haufen. Sympathische Figuren werden zu unsympathischen, starke zu schwachen - und umgekehrt.
Je weiter die Handlung voranschreitet, desto mehr wünscht man sich, dass alle Beteiligten bekommen, was sie verdienen. Am Ende tun sie das auch und nicht immer so, wie man es als Leser erwartet hat.

Juli Zeh hat mich mit diesem Buch und ihrem detailreichen Schreibstil sehr beeindruckt. Sie scheint stets bis auf den Grund der Dinge zu blicken und diese ans Licht zu zerren. Die sehen nicht immer hübsch aus.
Eine ähnliche Begeisterung verspürte ich vor kurzem als ich Writers & Lovers von Lily King las. Von beiden Autorinnen werde ich mir noch weitere Bücher holen bzw. habe es bereits getan.
Den Hund werde ich Juli Zeh allerdings nicht so schnell vergeben. Das geht gar nicht!

Unterleuten ist kein Buch für zwischendurch. Es ist keine leichte Lektüre, sondern eine, die den Leser mit dem Hammer verhaut und ihn unter einer Betonplatte zu verscharren sucht.

#euleliest #eulehört #julizeh #unterleuten #buchtipp
Ray Bradbury. Poet des Raketenzeitalters von Hardy Kettlitz
erschienen in der Reihe SF Personality

Vor einiger Zeit befreite ich Zen in der Kunst des Schreibens von Bradbury aus meinem SUB. Dieses winzige Büchlein beeindruckte mich so sehr, dass ich buchstäblich mit glühenden Augen meine Regale nach weiteren Bradburys absuchte, und außer den Mars-Chroniken nichts fand. Außerdem wollte ich mehr über Bradbury erfahren, am liebsten seine Biografie lesen. Leider gibt es keine auf Deutsch. Dafür fand ich aber das Buch von Hardy Kettlitz. Die Leseprobe fand meine Zustimmung und ich bestellte das Buch. Als es in der Post war, war ich erstmal ernüchtert.
Die Leseprobe umfasst einen guten Teil des ersten Abschnitts des Buches. Hier geht es tatsächlich um die Lebensgeschichte des berühmten Autors, also genau das, was ich wollte. Dieser Abschnitt ist keine 30 Seiten lang.
Was auf den restlichen ca. 350 Seiten steht, traf mich unvorbereitet. Hätte ich die Rezensionen zu den anderen SF Personality-Büchern gelesen, wäre das nicht passiert. Aber nun gut. Ich las, was ich bekommen hatte. Und es war großartig!

Hardy Kettlitz führt die Inhaltsangaben sämtlicher Werke von Ray Bradbury auf. Vielleicht fehlen einige wenige, die müssen sich dann aber sehr gut versteckt halten, denn es sind viele. Wirklich sehr viele. Ich hatte keine Ahnung, dass Bradbury so viel geschrieben hat. Seit seinem 12. Lebensjahr schrieb Ray Bradbury täglich mindestens 1.000 Wörter und stellte eine Kurzgeschichte pro Woche fertig. Er war Autor von Erzählungen, Romanen, Drehbüchern. Nach seinen Werken wurden Filme und Serien gedreht, Hörspiele produziert.

Zu jeder Erzählung und jedem Roman gibt es eine Inhaltsangabe mit Erscheinungsdatum und -medium. Manchmal sind es nicht nur bloße Inhaltsangaben, sondern kurze Rezensionen, oft nur einige Sätze lang. Es finden sich auch interessante Informationen zu den vorgestellten Werken, nicht zu allen, aber zu sehr vielen. Das Ausmaß der Recherchen zu diesem Buch kann ich mir nicht einmal vorstellen. Kettlitz hat über Bradbury-Geschichten geschrieben, die seit Ende der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts erschienen sind. Einige dieser Erzählungen sind nur einmal in irgendwelchen Fan-Magazinen erschienen und danach nie wieder irgendwo, weil sie Bradbury peinlich waren. Diese Werke auszugraben ist wohl nur etwas für wahre Bradbury-Fans.

Seit dem Lesen dieses Buches habe ich eine Bradbury-Sammlung angelegt und freue mich aufs Lesen. Kettlitz hat zwar etliche Geschichten gespoilert, aber was soll's, es wird bestimmt trotzdem toll.

Ich kann dieses Nachschlagewerk jeder/m Science-Fiction-Leser/in empfehlen.

#euleliest #hardykettlitz #raybradbury #sciencefiction #buchtipp
Die Stadt aus Messing von Shannon A. Chakraborty
1. Roman der Daevabad-Trilogie

Kairo, Ende des 18. Jahrhunderts
Die etwa 20jährige Nahri lebt als Diebin und Trickbetrügerin auf den Straßen der ägyptischen Hauptstadt. Bei einem Ritual, an dessen Magie sie kein bisschen glaubt und es nur durchführt, um den Gläubigen das Geld aus der Tasche zu ziehen, ruft sie versehentlich einen Daeva herbei. Daeva ist ein anderer Name für einen Dschinn. Dieser Daeva, Dara, ist über seine Landung in Nahris Welt und über Nahri selbst gar nicht froh. Er erkennt aber ein magisches Talent in ihr, und bringt sie nach Daevabad, eine Stadt voller legendärer Wesen.

In Daevabad herrscht König Ghassan al Qahtani, dessen Vorfahren Daras Erzfeinde sind. Sein jüngerer Sohn Alizayd schließt Freundschaft mit Nahri.

Es ist schwer, die Handlung in wenigen Sätzen zusammen zu fassen. Denn das, was Chakraborty ihren Lesern hier bietet, ist ein beeindruckendes Werk voller orientalischer Magie, gut ausgearbeiteter Details, glaubwürdigen Figuren und einer spannenden Handlung. Also nicht unbedingt das, was man erwartet, wenn man das Erstlingswerk einer jungen Autorin in die Hand nimmt.

Der Roman wird aus der Sicht von Nahri und Alizayd erzählt.

Sie ist eine mit allen Wassern gewaschene Betrügerin und Überlebenskünstlerin. Nahri hat ein Talent zum Erkennen und Heilen von Krankheiten und ihr größter Wunsch ist es, genug Geld zu verdienen, um Medizin zu studieren. Dass so ein feuerspeiender Dschinn wie einfach irgendwohin verschleppen will, passt ihr gar nicht. Aber schnell merkt sie, dass sich andere magische Geschöpfe, nämlich die dämonischen Ifrite und deren Diener, die Ghule, an ihre Fersen geheftet haben. Auf der langen Reise nach Daevabad kommen sie und Dara sich näher. Gut gehen kann das nicht, denn Dara ist kein lebendiges Wesen.

Alizayd ist ein idealistischer Prinz der Herrscherfamilie. Sein Lebensweg ist vorgezeichnet, er soll seinem älteren Bruder dienen, sobald dieser König geworden ist. Aber er macht sich Sorgen um die Welt um sich herum, sieht die Ungerechtigkeiten, die Diskriminierung der halbblütigen Shafite, und will helfen. Das könnte ihn seinen Kopf kosten. In Nahri findet er zum ersten Mal in seinem Leben eine Person, in deren Gesellschaft er sich wie er selbst fühlt.

Auch die anderen Charaktere sind toll ausgearbeitet. Mich hat vor allem König Ghassan beeindruckt. Jedes Mal, wenn die Rede von ihm ist, kriegt man eine Gänsehaut. Das ist ein alter, sehr schlauer, durchtriebener und machtgieriger Mann, der die Stadt und die eigene Familie mit eiserner Hand regiert. Niemand stellt sich ihm in den Weg.

Darayavahoush "Dara" e-Afshin ist ein 1400 Jahre alter Daeva, über dessen Taten man noch heute in Daevabad spricht. Man bewundert und fürchtet ihn. Wir sehen ihn durch die Augen von Nahri und Alizayd und entsprechend ambivalent erscheint er.

Das Buch trieft vor politischen Intrigen und alten Feindschaften. Diese beiden Dinge sind so gut in die Handlung eingewoben und so gut beschrieben, dass es für Fans von richtig gut durchdachten Intrigen ein Fest ist.

Die Stadt aus Messing ist ein hervorragender Roman, der alle Preise verdient hat, die er bekommen hat. Zudem ist es mal etwas Neues, da die Handlung im Orient spielt und man sich beim Lesen wie in 1001 Nacht fühlt. In einer düsteren Version davon.

#euleliest #sachakraborty #daevabad #buchtipp
Ist denn schon Halloween?

Nein, es ist noch nicht Halloween, trotzdem habe ich vor einigen Tagen ein gruseliges Buch gelesen. Nämlich Vollgas von Joe Hill. Fast hätte ich "Stephen King" geschrieben - und das hat einen Grund. Joe Hill alias Joseph Hillström King ist der Sohn des Horrormeisters. So zumindest die Theorie. Ich vermute eher, dass er ein Stephen-King-Klon ist. Er sieht seinem Daddy unglaublich ähnlich, ist Schriftsteller und schreibt Horror.
Da kommen einem solche Gedanken.

Vollgas ist ein Kurzgeschichtenband und enthält 13 Kurzgeschichten, von denen zwei in Zusammenarbeit mit Stephen King entstanden sind. Alle Texte sind gefüllt mit Spannung und Grusel.
Schreiben kann Joe Hill, und wie! In manchen Geschichten möchte man sich einfach verlieren und nicht wieder daraus auftauchen. Die meisten enden so unerwartet bzw. plötzlich, dass man den Autor am Kragen packen und schütteln möchte, bis er eine Fortsetzung raushaut. Bei anderen hat man das Gefühl, Hill habe einen in den Magen geboxt, man sitzt da und kriegt keine Luft. Ein paar haben einen ganz und gar wunderbaren Schluss und fühlen sich an wie eine Kuscheldecke.

Besonders gefallen haben mir diese:
An den silbernen Wassern des Lake Champlain über ein Mädchen, das zusammen mit seinem besten Freund einen toten Saurier am Flussufer findet.
Meine Welt dreht sich nur um dich ist eine Geschichte, die in ferner Zukunft spielt, und in der ein Teenagermädchen einen Roboter mietet.
Überfällig ist meine Lieblingsgeschichte und handelt von verstorbenen Menschen, die ausgeliehene Bücher zurückbringen.

Das Buch ist im Verlag Festa erschienen und entsprechend teuer. Deshalb habe ich mich für die preisgünstigere eBook-Ausgabe entschieden. Irgendwann würde ich mir aber gerne die gebundene Ausgabe fürs Regal kaufen, um darin zu schmökern.

Fazit: Mit Vollgas in Richtung Lieblingsbuch!

#euleliest #joehill #stephenking #vollgas #buchtipp
Über gefallene Imperien und eklige alte Männer

Nachdem ich monatelang Loblieder auf ein bestimmtes Buch gehört habe, ist es nun meines. Als Hörbuch, gelesen von meiner großen Hörbuchliebe Stefan Kaminski.
Das Buch ist Diese gottverdammten Träume von Richard Russo.
Im Original heißt es Empire Falls und der Titel ist Programm. Es geht um eine amerikanische Stadt, die einst wohlhabend gewesen ist, nun aber seit Jahrzehnten immer weiter verfällt. Die Fabriken, die der Stadt die Arbeitsplätze gegeben hatten, sind längst verkauft und geschlossen worden. Die jungen Leute ziehen weg, weil sich ihnen in Empire Falls, so der Name der Stadt, keine Chancen mehr bieten.

Wir beobachten die Bewohner der Stadt bei ihren täglichen Verrichtungen und Träumen und Enttäuschungen. Da ist Miles, der das Empire Grill leitet, sein Bruder David, Janine, die Exfrau von Miles, seine Tochter Tick, und Max, der Vater von Miles und David. Es kommen auch eine Menge andere Charaktere vor, aber die genannten sind wohl die wichtigsten.
In dem Buch passiert wirklich nicht viel. Es wird geredet, gestritten, geträumt, den guten alten Zeiten nachgetrauert. Ich habe jetzt ca. ein Drittel des Romans gehört und bisher gibt es so gut wie keine großen Konflikte. Es ist ein sehr sehr sehr ruhiges Buch. Aber: mir gefällt die Erzählweise von Richard Russo, seine Fähigkeit, jede Figur so zu beschreiben, dass das Kopfkino anspringt. Das Buch hat den Pulitzer bekommen, ich ahne, warum.

Im Titel dieses Beitrags habe ich eklige alte Männer erwähnt. Tja. Max Roby, "sienbenzig" Jahre alt, ist der wohl widerlichste Kerl, der mir jemals über den Buchweg gelaufen ist. Uähhhhhhh! Igitt! Aber jedesmal, wenn es um ihn geht, kriege ich ein fast hysterisches Kichern und ein "ihhhhhhhhhhh!". So wie Russo ihn zeichnet sieht man im Kopfkino alles. Und riecht alles, ehrlich.
Also, Porträt Max Roby: krümelt seine Gesprächspartner mit Essensstückchen voll, hat lockere Zähne, wäscht sich nicht so gern, schüttelt nach dem Pinkeln nicht ab, schnorrt und klaut Geld und alles, was nicht angenagelt ist, hält sich beim Niesen und Husten nicht die Hand vor Mund und Nase (Begründung, ich zitiere: *Sich die Hand vor den Mund zu halten war für Max ein völlig irrationales Betragen. Wenn man ihn darum bat, sah er einen an, als hätte man ihn aufgefordert, sich beim Furzen mit der Hand den Hintern zu bedecken.*)
Er ist also in jeder Hinsicht ein Stinker. Nicht, weil er alt ist, oh nein. Es ist ihm schlicht absolut schnurz. Das ist eine Person, die so sehr sie selbst ist, dass man neidisch werden kann.

Ich gehe dann mal weiter hören. Andere Bücher von Richard Russo landen auf jeden Fall früher oder später in meinem Regal. Selbst dieses hier würde ich gerne baldmöglichst kaufen, für die Sammlung.

#euleliest #eulehört #stefankaminski #richardrusso #empirefalls #diesegottverdammtenträume #buchtipp
Nachtbeeren von Elina Penner

Eines vorweg: Ich bin voreingenommen. Das ist das erste Buch, das ich kenne, das sich mit meiner eigenen Kultur beschäftigt, und entsprechend fällt mein Urteil aus.
Ich habe das Buch als Audible-Hörbuch gehört, und das war ein Glück, denn es wird von der Autorin selbst gelesen. In der deutschen Hörbuchlandschaft kommt das so gut wie nie vor. Ich mag das jedenfalls sehr.

Nun zum Buch selbst.
Nelli Neufeld ist eine Russlanddeutsche und fromme Mennonitin. Sie lebt ihr Leben so, wie die Tradition und die Glaubensgemeinschaft es ihr vorschreiben: sie hält das Haus penibel sauber, kocht und backt, ordnet sich ihrem Ehemann unter, erzieht ihren Sohn zu einem weiteren Mitglied der mennonitischen Gesellschaft, kümmert sich um ihre Mitmenschen. Sie war nicht immer so. In ihrer Jugend hat sie versucht, sich dem Leben in Deutschland anzupassen, hat gerne gefeiert und ihre Ansichten waren eher liberal. Mit dem Tod ihrer Oma, des einzigen Menschen, der sie bedingungslos geliebt hat, macht es in ihr "klick", und von heute auf morgen krempelt sie ihr Leben um. Hosen, enge und kurze Röcke, Schminke - alles kommt weg. Sie entsagt dem Fernsehen und dem Alkohol (nun ja, fast). Jahrelang führt sie ein ruhiges, ordentliches Leben. Bis ihr Mann sie verlassen will.

Neben Nelli gibt es noch zwei weitere Ich-Erzähler, ihren Sohn Jakob und ihren Bruder Eugen. Die Nelli-Kapitel sind von Schwermut geprägt. Sie kann sich nicht an ihr Leben in Russland erinnern, wohl aber an die ersten Jahre in Deutschland. Sie fühlt sich zerrissen: einerseits hat sie Russland nie ganz verlassen und andererseits ist sie nie ganz in Deutschland angekommen. Die "Hiesigen" versteht sie bis heute nicht, die "onse" (unseren) scheinen nicht aus den jahrhundertealten Traditionen ausbrechen zu wollen, die sie einengen. Unter Nellis scheinbar ruhigen Oberfläche brodelt es.
Dem gegenüber stehen die Eugen-Kapitel. Hier habe ich an einigen Stellen hysterisch lachen müssen, der schwarze Humor ist bombastisch. Es ist nicht zuletzt deshalb so witzig, weil - wie erwähnt - das Hörbuch von der Autorin gelesen wird, die ihren Figuren genau den Ton gibt, den sie haben müssen. Es kommt ein wildes Gemisch von russischen, deutschen und plautdietschen Sätzen zustande, das wirklich saukomisch ist (besonders, wenn man das ganze auch noch versteht).

Überhaupt, das Plautdietsche. Es kommt auf jeder Seite vor, manchmal sind es nur einzelne Begriffe, manchmal ganze Sätze. Wie das im Buch gedruckt aussieht, kann ich nicht sagen. Wir haben keine Schriftsprache und der Versuch, plautdietsche Wörter mit deutschen Buchstaben zu schreiben, verfälscht sie natürlich. Deshalb rate ich persönlich zum Hörbuch.

Vieles von dem, was Nelli denkt, kann ich nachvollziehen. Manche Textstellen haben mich ständig Nicken lassen, weil ich genau weiß, wovon Elina Penner spricht. Diese nahezu exakte Beschreibung von etwas, das man selbst kennt, ist das, was mir besonders gefallen hat. Wie oft begegnet einem so etwas schon?

Das Ende hat mich nicht vollständig überzeugt, weil ich noch Fragen habe. Hat sie nun oder hat sie nicht? Und wieso leben alle weiter, als wäre nie etwas passiert? Trotzdem bin ich geneigt, dem Buch die Höchstwertung zu geben.
Ach ja, wer mal hören will, wie Plautdietsch geht, kann sich auf Youtube umschauen. Das ist der Kanal meiner Tante, die das plautdietsche Leben auf die Schippe nimmt.

Fazit: Das ist meine neue Buchliebe.

#euleliest #eulehört #elinapenner #nachtbeeren #buchtipp
Traumhaftes Kaufhaus

Vor einigen Monaten hörte ich auf Youtube die begeisterte Buchbesprechung eines Romans der südkoreanischen Autorin Lee Miye und kurze Zeit später war das Buch bestellt. Ich las die russische Übersetzung, denn ich wollte nicht auf die deutsche warten, die unter dem Titel Kaufhaus der Träume erst im Sommer 2022 erscheint. Heute habe ich es gelesen. In nur einem halben Tag, was mir in den letzten 15 Jahren mit keinem anderen Buch passiert ist. Ja, es ist leicht geschrieben, und hat nur ca. 300 Seiten, trotzdem, so durchzurauschen sieht mir gar nicht ähnlich. Daraus lässt sich schließen, dass mir der Roman sehr gut gefallen hat.

Worum geht es?

Penny tritt die Stelle im Kaufhaus von Mr. Dallergut* an. Im Geschäft wird mit Träumen gehandelt. Man kann die Stadt und den Laden im besonderen nur betreten, wenn man eingeschlafen ist. Die Einheimischen haben sich längst daran gewöhnt, dass auf den Straßen plötzlich halbbekleidete oder gar nackte Menschen auftauchen (denn man legt sich ja nicht in seinen Klamotten schlafen). Große flauschige Wesen halten bequeme Kleidung für die Träumer bereit. Viele Stadtbewohner laufen ohne Schuhe herum, weil auch die Träumer barfuß oder in Socken daherkommen. Der Traumladen von Mr. Dallergut ist nicht der einzige seiner Art, aber es ist der älteste und beste. Menschen suchen ihn nach dem Einschlafen auf und kaufen Träume. Einige sind schön, andere beinhalten eine Botschaft, und die nächsten sind voller Inspiration.

Was soll ich sagen? Es ist ein großartiges, phantastisches, außergewöhnliches Buch. Stellenweise habe ich sogar Taschentücher gebraucht (mehrere!). Alles dreht sich um Schlaf und Traumbilder, um das, was Menschen wollen, oder um das, was sie brauchen. Die Geschichte steckt voller interessanter Gedanken und Überlegungen. Man begegnet geflügelten Wesen und dem Nikolaus persönlich, begreift, wie wichtig Schlaf tatsächlich ist und warum es immer weniger davon gibt.

In einem Buch muss es einen Konflikt geben, ohne ihn fehlt die Spannung. In Kaufhaus der Träume gibt es keinen Konflikt. Es gibt keine Streitereien, keine Feindschaften, keine Intrigen, es geht nur um den Alltag in einem Geschäft, das täglich von Kunden überrannt wird. Und doch ist es nicht langweilig, weil es auf jeder Seite, in jeder Szene etwas zu entdecken gibt.

Es gibt nur eines, was mich zunächst irritiert hat: nämlich, dass man nichts über die Figuren erfährt. Die Autorin hat sie allesamt nur sehr oberflächlich gestaltet und man erfährt nichts über Penny und ihre Kollegen. Sie scheinen kaum über ein Privatleben zu verfügen, alles Wichtige in ihrem Leben spielt sich an ihrem Arbeitsplatz ab. Dann fiel mir ein, dass es ein Buch aus Südkorea ist, wo man eine ganz andere Einstellung zu seiner Arbeit hat, dort zählt nur die Leistung, alles andere wird zurückgestellt. Also ist die fehlende Beschreibung der Personen in meinen Augen kein Fehler, sondern spiegelt nur die Realität im Heimatland der Autorin wider.

Ich werde Kaufhaus der Träume ganz sicher noch einmal lesen, denn es ist wundervoll.

*In der russischen Ausgabe lautet der Name Talergut. Im Original heißt der Mann Dallergut. Und der Golkonda Verlag hat Dollargut aus ihm gemacht... Tja, passend für einen Ladeninhaber, oder wie? Haha.

#euleliest #kaufhausderträume #leemiye #buchtipp
Das Ende einer Expansion

Heute Nacht habe ich den letzten Band der Reihe The Expanse des Autorenduos James Corey zu Ende gehört, Leviathan fällt.
Das ist jetzt neben der Commonwealth- Reihe und der Vorkosigan-Saga eine meiner liebsten Weltraumromanserien.

Worum geht es?
In der Zukunft (1-2 Jahrhunderte ab jetzt) hat die Menschheit den Mars und den Asteroidengürtel besiedelt. Die "Gürtler" und die Bewohner der "inneren Planeten" haben sich gesellschaftlich wie technologisch auseinanderentwickelt. Es gibt ständig Reibereien, ernsthafte Streitigkeiten, auch mal Kämpfe. Mit der Entdeckung eines außerirdischen Protomoleküls, das alles Lebendige befällt und verändert, bricht ein richtiger Krieg aus. Verschiedene Organisationen, Interessengruppen, Regierungen versuchen Vorteile für sich herauszuschlagen, und gehen dabei nicht selten über Leichen.
Das Protomolekül allerdings hat eigene Ziele. Es steuert die Venus an und beginnt, den Planeten umzubauen. Schließlich erhebt sich von dort ein riesiger Ring in den Himmel und fliegt zum Rand des Sonnensystems. Der Ring stellt sich als Tor zu anderen Welten heraus. 1300 neue Welten stehen der Menschheit offen. Ein Segen für alle? Oder eher ein weiterer Grund, Kriege zu führen?
Mitten im Geschehen steht Jim Holden und die Crew seines erbeuteten Raumschiffs. Jim ist ein Idealist, ein Weltverbesserer, ein unerschütterlicher Optimist. Manchmal muss ihn seine Schiffskameradin und spätere Lebensgefährtin Naomi Nagata auf den Boden der Tatsachen zurückholen.
Die Crew erledigt Aufträge für den Untergrund, jagt Piraten, legt sich mit den Mächtigen an, arbeitet mit diesen Mächtigen zusammen, und versucht meist irgendwie zu überleben.

Das ist eine sehr schlichte und oberflächliche Beschreibung dessen, was sich in den neun Bänden der Reihe abspielt. Die Bücher sind unglaublich, wundervoll komplex. Der Weltenbau sondergleichen. Jedes Detail wirkt realistisch, jede Figur ist glaubwürdig. Die einzelnen Bände sind mal mehr, mal weniger spannend, wobei "weniger" hier immer noch um Größenordnungen besser ist als bei einem Großteil der anderen von mir gelesenen Bücher des Genres.
Zwischen den einzelnen Abenteuern liegen oft einige Jahre, zwischen Band 6 und 7 gar 30 Jahre. Dieser Zeitraum war für mich das einzige Haar in der sonst superleckeren Suppe von James Corey. Ich weiß, dass einige Ereignisse nicht anders hätten erzählt werden können, und irgendwann werde ich den Autoren das vergeben.
Der letzte Band... Ja... Das Ende dieser Reise war konsequent und logisch. Ein anderes hätte es gar nicht geben können. Aber - bei den Erbauern der Tore! - das Ende ist auch traurig und beschert einem feuchte Augen. Es ist perfekt.

Ich habe die Reihe lange gehört, zwischen den Büchern lagen manchmal Monate. Schließlich wollte ich nicht beim bereits erschienenen Band 8 ankommen und dann ein Jahr auf den Abschlussband waren müssen. Jetzt aber werde ich sie mir noch einmal am Stück anhören. Sicherlich werde ich viele neue Details entdecken.
Die TV-Serie hatte ich mal angefangen, doch jetzt muss ich weitergucken. Vielleicht hilft sie ja gegen die Entzugserscheinungen.

Gezeichnet: ein Fan

#euleliest #eulehört #sciencefiction #jamescorey #theexpanse #buchtipp
Misery

Weiter oben versprach ich, über ein paar Romane von Stephen King zu schreiben. Beginnen möchte ich mit einem seiner besten Romane - Misery, auf Deusch als Sie erhältlich. Wer neugierig auf die Geschichte ist, aber nicht gerne liest, kann sich die Verfilmung ansehen. Die hält sich eng ans Buch. Tatsächlich fand auch ich zu Misery über den Film. Ich sah ihn in den fernen 90ern. Die Handlung und vor allem die Hauptdarstellerin Kathy Bates (sie bekam für diese Rolle den Oscar) haben sich für immer in mein Gehirn gebrannt.

Worum geht es?
Der Schriftsteller Paul Sheldon hat eine Buchreihe über die Abenteurerin Misery Chastain geschrieben. Die Bücher sind mega-erfolgreich, haben ihm Geld und Ruhm eingebracht. Doch Sheldon hat seine Hauptfigur satt. Er schreibt einen letzten Roman über Misery, in welchem er sie über die Klinge springen lässt.
Kurz vor dem Erscheinen des Romans gerät der Autor in einen heftigen Schneesturm und hat einen schweren Unfall.
Er kommt im Haus der Krankenschwester Annie Wilkes zu sich. Annie ist sein bzw. Miserys größter Fan, und möchte natürlich den Autor ihrer vergötterten Buchfigur retten. Doch dann erfährt sie von Miserys Tod.

Annie Wilkes ist vermutlich die gruseligste Figur bei Stephen King, sie kommt noch vor dem Pennywise und Flagg. Denn echte Horrorgestalten sind nicht die Monster, es sind Menschen, die so richtig übelst durchdrehen.
Dieses Buch habe ich wie fast alle von King als Hörbuch gehört. Der Sprecher David Nathan verleiht den Figuren Gewicht und der Handlung die richtige Atmosphäre. Der Roman ist so spannend, dass man sich beim Hören mit absolut nichts beschäftigen mag, um ja nichts zu verpassen. King ist auch hier wieder der König der Psychologie. Er beschreibt die beiden Protagonisten so plastisch, dass man sich mühelos in deren Köpfen wiederfindet (dort ist es nicht schön!).

Ich habe mich für meine Kurzgeschichte Ein Tag im Haus von Annie Wilkes inspirieren lassen. Das ist mir erst im Nachhinein klar geworden. Offenbar hat sich diese Krankenschwester in meinem Kopf tiefer eingenistet als mir klar war. Das zeigt, wie King mit seinem Bücher zu beeindrucken weiß.
Stephen King ist bekannt für seine ausschweifenden Romane. Es gibt oft eine Menge Figuren, über jede einzelne erfährt man so gut wie alles, jede Handlung, jeden Gedanken, jeden Traum. Aber er kann sich genauso gut mit zwei Protas begnügen, oder gar mit einem. Das hat er u. a. mit dem kammerspielartigen Roman Misery bewiesen.

#euleliest #eulehört #stephenking #misery #buchtipp
Wenn Kunstbanausen ein Buch lesen -

- und es ihnen trotzdem gefällt, dann ist es Durch Mauern gehen von Marina Abramovic.

Den Namen Marina Abramovic haben bestimmt die meisten schon einmal gehört. Selbst wenn nicht, sicher sind einige ihrer Performances einem schon mal in den Medien begegnet. Vor ca. 10 Jahren saß sie z. B. drei Monate 8 Stunden täglich in einem Museum, regungslos. Als Besucher konnte man sich ihr gegenübersetzen. Die Besucher haben diese Erfahrung als besonders intensiv beschrieben.
Es gab in ihrem Leben auch andere Kunstaktionen. Ihre wohl bekannteste ist Rhythm 0, in den 70ern des letzten Jahrhunderts. Bei dieser Performance hat sie ich ihrem Publikum ausgeliefert, buchstäblich. Die Bilder, die beim Googeln der Performance angezeigt werden, sind erschreckend.

In ihrer Autobiografie erzählt sie von ihrer Kindheit in Belgrad, ihrer Familie, den ersten Schritten in der Kunst. Sie fing mit Malerei an, stellte dann aber fest, dass ihr Performance mehr lag. Sie wollte immer, dass das Publikum ein Teil ihrer Kunst ist.
Mit Ulay, dem deutschen Künstler und ihrem langjährigen Partner, lief sie über die Chinesische Mauer, lebte bei den Aborigines in Australien. Sie posierte auf den Knochen geschlachteter Rinder, war während ihrer Auftritte nicht selten splitternackt - sie gab stets alles.

Ich selbst kann ein Gemälde von einer Skulptur unterscheiden, hier enden meine Kunstkenntnisse. Mit Performance kann ich überhaupt nichts anfangen, das meiste fällt in meinen Augen unter "Ist das Kunst oder kann das weg?" (Banausin, erwähnte ich das schon?) Aber das Buch von Marina Abramovic fand ich trotz Kunstresistenz einfach grandios. Sie schreibt interessant, leidenschaftlich, schnörkellos. Ihre Sprache ist mal ganz zart und dann wieder geradezu vulgär. Ihre Autobiografie kann man wohl als ein weiteres Stück Performance betrachten. Es ist unmöglich, es zu lesen und es hinterher einfach mit einem Schulterzucken ins Regal zu stellen. Man blättert noch mal durch die Seiten, bleibt an den unzähligen Fotos hängen, mal kopfschüttelnd, mal fasziniert, aber niemals gelangweilt oder gar gleichgültig.

Als Abramovic ihre The Artist Is Present Performance vorbereitete, wurde sie ein Jahr lang von einem Kamerateam begleitet. Später entstand daraus ein Film. Ich habe ihn mir bestellt und werde ihn mir in den nächsten Tagen ansehen.
Marina Abramovic ist die Grand Dame der Performance. Ich bin sehr neugierig darauf, noch mehr über sie zu erfahren, denn sie wirkt und lebt ihre Kunst ja auch nach dem Ende der Autobiografie.

Fazit: Highlight!

#euleliest #biografie #marinaabramovic #buchtipp
Die nackte Sonne von Isaac Asimov

Machen wir gleich weiter mit der nächsten Robotergeschichte des Großmeisters.

Auf dem fernen Planeten Solaria wird ein Mord verübt und Elijah Baley von der Polizei New York wird abkommandiert, den Fall zu lösen. Kaum auf Solaria angekommen, begegnet er einem alten Bekannten, dem menschenähnlichen Roboter R. Daneel Olivaw, mit dem er erst von kurzem auf der Erde ermittelt hat.

Ich muss gestehen, dass ich zu diesem Roman eine ganz besondere Beziehung habe. Mit 15 bekam ich einen Sammelband mit SF-Klassikern in die Finger, dieser enthielt unter anderem Das Ding aus einer anderen Welt, Die Fliege und eben auch Die nackte Sonne. Letztere Geschichte war die umfangreichste in dem Buch und die interessanteste. Ich kann nicht zählen, wie oft ich die gelesen habe, ich war fasziniert - die Roboter, die solarianische Gesellschaft, der seltsame Erd-Bulle, der sich nach Möglichkeit nur in geschlossenen Räumen aufhält. Hach, war das spannend! Ich wusste, dass es eine Vorgeschichte geben muss, denn die frühere Ermittlung wird in Die nackte Sonne ein paar Mal erwähnt. Aber die kannte ich nicht und so begnügte ich mich mit der Geschichte auf Solaria.

Der Kriminalfall ist viel besser geschrieben als in Die Stahlhöhlen, ich habe, obwohl ich die Auflösung kannte, wieder mitgefiebert und mich zusammen mit Elijah Baley über die Verrücktheiten der Solarianer gewundert.
Die von Asimov gezeichnete Gesellschaft des Planeten ist sehr merkwürdig. Es gibt nur 20.000 Menschen auf Solaria, aber dafür 200.000.000 Roboter. Die Solarianer sehen einander nie, es sei denn übers Sichten, eine Art Hologramm. Sie wirken auf den Erdenmenschen Baley - und auf den Leser - verklemmt, prüde und manchmal einfältig. Das Wort Kinder wird z. B. nie ausgesprochen, wenn es sich vermeiden lässt, denn wenn man die Anweisung bekommen hat, ein Kind zu zeugen, muss man ja mit seinem Ehegatten - igittigitt! Der Beruf des Arztes ist auf Solaria am wenigsten angesehen, denn ein Arzt muss seine Patienten ja manchmal besuchen.
Schnell wird klar, dass diese Welt nicht mehr lange wird bestehen können.

Irritiert hat mich in diesem Buch nur eines: Gegen Ende bezieht sich Elijah Baley auf ein früheres Gespräch mit dem Robotiker Leebig, in dem Leebig Raumschiffe erwähnt. Ich bin dieses frühere Gespräch noch mal durchgegangen und habe keine solche Erwähnung gefunden. In meiner zerfledderten alten Ausgabe ist der Absatz aber drin. Was ist das? Ein Fehler? Eine absichtliche Kürzung? Sehr mysteriös. Ich frage mich, ob noch weitere Dinge fehlen.
* Dieser Hinweis bezieht sich auf den alten Doppelband. Die neue Heyne-Ausgabe habe ich nicht vorliegen, vielleicht ist die Textpassage dort enthalten.*

Alles in allem: Neben der Robotergeschichte Robbie ist diese hier meine liebste. Absolut zeitlos und immer faszinierend.

#euleliest #roboter #isaacasimov #dienacktesonne #diestahlhöhlen #robbie #sciencefiction #buchtipp
Die Straße

Gerade erreicht mich die Nachricht, dass Cormac McCarthy verstorben ist. Sein Roman Die Straße, verfilmt mit Viggo Mortensen (💙), zählt zu den eindrucksvollsten Büchern, die ich je in meinem Leben gelesen habe. Das soll was heißen.

Worum geht es?
In einem postapokalyptischen Amerika wandern Vater und Sohn Richtung Süden, wo sie hoffen, andere – gute! – Menschen und Essen zu finden. Sie sind seit Jahren unterwegs, immer auf der Hut vor Wegelagerern und verfolgt von Hunger und Elend.

Das ist im Grunde auch schon alles. Aber wie McCarthy es erzählt, verursacht einem eine nicht vergehende Gänsehaut. Das verwüstete, tote Land ist eine ständige Gefahr, die nur noch von anderen hungrigen Menschen übertroffen wird. Zu essen gibt es buchstäblich nichts, es sei denn, man findet alte Konserven – oder ist bei der Jagd auf einen Menschen erfolgreich. Alle Pflanzen, alle Tiere – tot. Was genau passiert ist, erfährt der Leser nicht, und ich glaube auch nicht, dass die Buchfiguren es je herausgefunden haben.
McCarthys Schreibstil ist äußerst lakonisch. Der Autor verzichtet auf alles, was von der Geschichte ablenken könnte. Von ihr, der Geschichte, ist im Grunde nur ein Gerüst, ein furchterregendes Skelett übrig, das man immerzu anstarren muss.
Die Straße ist kein Buch für zarte Gemüter, es ist verstörend, es hallt lange nach. Von manchen Szenen dreht sich einem fast der Magen um. Gleichzeitig schafft McCarthy es, die bedingungslose Liebe des Vaters zu seinem Sohn zu zeigen.

Anfangs ist das Buch schwer zu lesen, denn es gibt keine Anführungszeichen für Dialoge, man muss rätseln, wo die direkte Rede beginnt und endet. Aber das gibt sich nach einigen Seiten, nicht zuletzt, weil McCarthys Buchfiguren eher wortkarg sind.

Gleich nach dem Lesen plante ich einen ReRead, aber ein Buch, das so schwer ist wie ein Grabstein, nimmt man nicht leichtfertig ein weiteres Mal in die Hand.

Fazit: Hochkarätig!!

#euleliest #cormacmccarthy #diestraße #buchtipp
Der NSA-Komplex

Der NSA-Komplex. Edward Snowden und der Weg in die totale Überwachung von Marcel Rosenbach und Holger Stark

Wie der Titel schon sagt, beschäftigt sich dieses Buch mit der NSA-Affäre. Erschienen ist es ein knappes Dreivierteljahr nach den Snowden-Enthüllungen. Ich habe es sofort nach Veröffentlichung gekauft und erst in jetzt gelesen.
Es ist das dritte Buch zum Thema in meinem Regal. Das erste, Die globale Überwachung von Glenn Greenwald, handelt unmittelbar von den enthüllten NSA-Akten. Das zweie, Permanent Record, ist die Autobiografie von Edward Snowden. Rosenbach und Stark nehmen sich die Behörde selbst vor.

Das Buch beschreibt die Entstehung und den Aufstieg einer der mächtigsten Behörden der Welt. Sie ist so mächtig, weil sie fast alles über jeden weiß. Wohlgemerkt, das war 2014. Heute kann man das Wörtchen "fast" vermutlich streichen. Die Autoren gehen auf die Person Edward Snowden ein sowie kurz auf die früheren Whistleblower der Behörde. Sie schreiben über die weltweiten Folgen der Enthüllungen und insbesondere über die Reaktionen der deutschen Politik (Spoiler: Beschämend!)
Das Thema mutet einen trockenen Text an, doch er liest sich erstaunlich flüssig und verständlich.

Das Alter merkt man dem Buch deutlich an. An mindestens einer Stelle musste ich schmunzeln, denn die Autoren erklären, was ein Selfie ist. Heute weiß das jedes Kindergartenkind, aber vor zehn Jahren?

Mich hat das Buch sehr beeindruckt und nicht wenig erschreckt. Es beschreibt den gewaltigen Hunger der NSA nach Daten von allen Menschen auf der Welt. Um die Daten zu bekommen werden ständig neue (technologischen) Methoden entwickelt und Gesetze umgangen. Im Laufe ihrer Geschichte geriet die Behörde mehrfach mit den geltenden Gesetzen in Konflikt, dann wurde so getan, als ob sie sich zurückzog, um hinter verschlossenen Türen einfach weiterzumachen. Buchstäblich wie in der Fabel um den Kater, der vom Herrchen ausgeschimpft wird, dabei aber seelenruhig die Sahne ausschleckt.

Fazit: Nach dem Lesen des Buches möchte man sein Handy ins Klo werfen, sich von allen sozialen Netzwerken abmelden und in die Pampa ziehen. Sehr empfehlenswert.

#euleliest #dernsakomplex #edwardsnowden #marcelrosenbach #holgerstark #buchtipp
Rendezvous mit Rama

Wie ihr euch denken könnt, ist hier nicht die Margarine gemeint, sondern ein Buch. Geschrieben hat Rendezvous mit Rama einer der "großen Alten", nämlich Arthur C. Clarke, der Autor von u. a. 2001: Odyssee im Weltraum.

Worum geht es?

Wir schreiben das Jahr 2130. Das Asteroidenwarnsystem entdeckt einen Himmelskörper, der sich auf die Sonne zubewegt und der sich nicht asteroidenkonform verhält. Schnell wird klar, dass es sich bei dem Objekt um einen Zylinder von ca. 50 km Länge handelt, und dass dieser eindeutig künstlicher Natur ist. Das Raumschiff Endeavour unter Commander Norton wird zu einem Rendezvous mit dem Objekt abkommandiert.

Vor ca. einem halben Jahr hörte ich das Gerücht, dass Denis Villeneuve (Dune, Arrival) das Buch verfilmen will. Natürlich war mir klar, dass ich es lesen bzw. hören muss. Vorhin habe ich den Roman beendet. Was soll ich sagen? Charmant!
Ich hatte die Befürchtung, dass ich das Buch nicht mögen würde. Die Klassiker der Science-Fiction wirken oft altbacken und naiv. Robert Heinlein vertrage ich zum Beispiel gar nicht - ich dachte, Clarke würde sich ebenfalls dazugesellen, vor allem, weil ich in früheren Jahren bereits versucht hatte, ihn zu lesen, und gescheitert war. Doch obwohl beim Schreibstil von Rendezvous mit Rama das Alter stellenweise zu spüren ist, wirkt der Roman doch zeitlos wenn es um die Handlung geht.

Das Alter des Buches, es erschien 1973, macht sich vor allem durch die kompakte Erzählweise bemerkbar. Es gibt keine ellenlangen Erklärungen und nur minimale, für die Handlung unerlässliche, Beschreibungen des Innenlebens von Rama sowie der einzelnen Situationen. Ich stelle mir bei solchen Büchern immer vor, wie sie heute wohl geschrieben werden würden. Ein Peter F. Hamilton oder James Corey hätten ein halbes Dutzend Bände gebraucht, bevor Besatzung der Endeavour Rama überhaupt betreten würde. Und es gäbe wesentlich mehr Drama. Bei Clarke wird schnell klar, dass er keine seiner Figuren im Stich lassen wird, so dass sich eine leichte Langeweile einstellt. Wozu sich aufregen und mitfiebern, wenn alles gut gehen wird?

Die Handlung selbst, nämlich die Erforschung von Rama, und die Spekulationen über Herkunft und Zweck des Habitats, wirken dagegen keineswegs alt. Schließlich ist die Idee einer außerirdischen Arche an sich schon toll. Und so oft sie auch erzählt wird, es wird nie langweilig.
Es hat in den Jahrzehnten nach Erscheinen des Romans noch zahlreiche anderen Werke mit ähnlichen Geschichten gegeben, aber Clarke war sicherlich einer der ersten. Für den Roman bekam er die renommiertesten Preise wie den Nebula, den Hugo und den Locus, woran man sehen kann, wie sehr das Buch seinerzeit eingeschlagen hat. Es zählt zu Recht zu den Meisterwerken der Science-Fiction.

Eine klare Empfehlung.

#euleliest #eulehört #arthurcclarke #rendezvousmitrama #buchtipp
Eigentlich wollte ich heute über ein anderes Buch schreiben, aber da auf meinem Schreibtisch gerade ein anderes liegt, schreibe ich nun darüber.

Lieber Daddy-Long-Legs von Jean Webster

Jerusha Abbott ist fast 18 Jahre alt und lebt im Waisenhaus. Die Kinder werden hier bereits mit 16 entlassen, doch Jerusha ist so begabt, dass sie auf Kosten der zum Waisenhaus gehörenden Stiftung die Highschool besuchen darf. Nun steht der Abschluss vor der Tür - und Jerusha bekommt unerwartet die Chance, das College zu besuchen. Einer ihrer Aufsätze, ein bissiger Text über das Waisenhaus, hat nämlich den großzügigsten Spender der Stiftung so sehr amüsiert, dass er bereit ist, ihr das College zu finanzieren. Der Wohltäter hat schon früher Kindern der Einrichtung die weitere Ausbildung bezahlt, doch er möchte anonym bleiben. Das Einzige, das Jerusha über ihn weiß, ist, dass er sehr langbeinig ist, geradezu ein Weberknecht. Sie nennt ihn daher Daddy-Long-Legs. Für seine Unterstützung verlangt Daddy-Long-Legs nur eines: Jerusha soll ihm einmal im Monat brieflich über ihre Fortschritte informieren.

Dieses Buch habe ich irgendwo im Regal als zerfledderte Taschenbuchausgabe stehen, noch mit dem Titel Daddy Langbein. 2017 erschien ein wunderschönes Hardcover, neu übersetzt und mit neuem Titel, Lieber Daddy-Long-Legs. Das musste ich natürlich haben - und noch einmal lesen.

Vorweg sei erwähnt, dass es sich bei dem Buch um einem Briefroman handelt. Wer keine solche Erzählform mag, sollte es lieber nicht lesen. Alle anderen sollten es unbedingt tun. Es ist nämlich eine herzallerliebste Geschichte voller Esprit und Lebenslust. Judy, wie Jerusha sich an der Uni nennt, tastet sich voran, erkundet ihr neues Leben, sucht nach ihrem Weg, erlebt Erfolge und Enttäuschungen, setzt alles daran, ihr Ziel zu erreichen und Schriftstellerin zu werden. Ihren geheimnisvollen Wohltäter hält sie immer auf dem Laufenden, schüttet ihm manchmal auch ihr Herz aus, denn sie hat sonst niemanden, bei dem sie das tun könnte.
Es ist eine Geschichte über das Erwachsenwerden einer jungen Frau, wundervoll erzählt, ans Herz gehend. Das Buch erschien vor mehr als 100 Jahren, doch es hat nichts von seiner erfrischenden Art eingebüßt.

Eindeutig eines meiner Lieblingsbücher ❤️

#euleliest #buchtipp #jeanwebster #daddylangbein #daddylonglegs