Eule 🦉
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Im Sturm erobert (nicht)

Ich empfinde eine gewisse Faszination für alternative Fakten Geschichte.
Vor einigen Jahren las ich mit großer Begeisterung einen Roman von Sonja Rüther, Feuerpfade, über ein alternatives Amerika. Was wäre, wenn die Europäer nie nach Amerika gekommen wären? Wie hätten sich die Ureinwohner entwickelt?
Seit diesem Buch war ich auf der Suche nach einer vergleichbaren Geschichte. Was wäre wenn?
Als ich vor kurzem auf das Buch Eroberung von Laurent Binet stieß, das ein ähnliches Thema behandelt, gab es kein Halten.

Die Inhaltsangabe verspricht ein alternatives Geschichtsszenario: Kolumbus ist nie von seiner Entdeckungsfahrt zurückgekehrt, sondern ist den Inkas in die Hände gefallen. Der Inkakönig Atauhalpa erobert daraufhin Europa.
Was hätte das für ein Roman werden können! Rüther schrieb einen mystischen Krimi vor dem Hintergrund einer hochinteressanten, weil ganz anderen, Geschichte. Binet schrieb die Geschichte an sich, nur hat er leider eine Handlung vergessen.

Der "Roman" ist kaum als solcher zu bezeichnen. Es handelt sich viel mehr um ein historisches Sachbuch, wobei die Historie natürlich alternativ ist. Der schriftstellerische Leitsatz "zeigen, nicht erzählen" fehlt hier fast durchgehend. Der Großteil des Textes klingt in etwa so: "Heer A marschierte gegen Heer 2 und war siegreich" oder "Daraufhin musste König XYZ abdanken". Ja, wie denn nun? Und warum? Und was führte dazu?!
Ich vermute, Eroberung könnte für Historiker:innen eine spannende Lektüre sein, für Normallesende ist es viel zu trocken und elend lang.
Am Anfang, als die Geschichten der Kriegierin Freydis, die Abenteuer von Kolumbus und vor allem Atauhalpas Siegeszug durch Westeuropa erzählt werden, kommt noch Spannung auf, es gibt Dialoge, die Figuren agieren und reagieren. Die Kapitel, in denen Atauhalpa versucht, die für ihn fremde Welt zu begreifen, sind hochinteressant, doch auch sie wirken heruntergebetet. Eine schlichte Chronik eben.
Später ist es nur eine Aneinanderreihung von Intrigen und Machtspielchen der großen europäischen Herrscher und für einen Geschichtsmuffel undurchsichtigen Revierkämpfen. Der letzte Teil des Buches handelt sogar überhaupt nicht mehr von irgendwelchen Inkas. Am Beispiel einer Person, dessen Namen die meisten Menschen wohl kennen dürften, Miguel de Cervantes, zeigt Binet, wie sich die Machtverhältnisse in Europa im Laufe von Jahrzehnten verändert haben, und welche Dinge nun möglicherweise für immer verloren sind.

Als Medium habe ich das Hörbuch gewählt, weil es von Stefan Kaminski gesprochen wird, der meine Nummer 1 unter den Hörbuchsprechern ist. Nur seinetwegen habe ich Eroberung überhaupt zu Ende gehört. Als Papierbuch hätte es bei mir keine Chance gehabt, denn es ist eines der ödesten Bücher der letzten Monate. Ein echtes Kaminbuch.

Fazit: Für Hartgesottene und Historienfans

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