24. Februar 1867. Die Thronrede Wilhelms I. zur Eröffnung des verfassungsberatenden Reichstags des norddeutschen Bundes.
"Wie die Richtung des Deutschen Geistes im Allgemeinen dem Frieden und seinen Arbeiten zugewandt ist, so wird die Bundesgenossenschaft der Deutschen Staaten wesentlich einen defensiven Charakter tragen. Keine feindliche Tendenz gegen unsere Nachbarn, kein Streben nach Eroberung hat die Deutsche Bewegung der letzten Jahrzehnte getragen, sondern lediglich das Bedürfniß, den weiten Gebieten von den Alpen bis zum Meere die Grundbedingungen des staatlichen Gedeihens zu gewähren, welche ihnen der Entwickelungsgang früherer Jahrhunderte verkümmert hat. Nur zur Abwehr, nicht zum Angriff einigen sich die Deutschen Stämme, und daß ihre Verbrüderung auch von ihren Nachbarvölkern in diesem Sinne aufgefaßt wird, beweist die wohlwollende Haltung der mächtigsten europäischen Staaten, welche ohne Besorgniß und ohne Mißgunst Deutschland von den selben Vortheilen eines großen staatlichen Gemeinwesens Besitz ergreifen sehen, deren sie sich ihrerseits bereits seit Jahrhunderten erfreuen. Nur von uns, von unserer Einigkeit, von unserer Vaterlandsliebe hängt es daher in diesem Augenblicke ab, dem gesammten Deutschland die Bürgschaften einer Zukunft zu sichern, in welcher es, frei von der Gefahr, wieder in Zerrissenheit und Ohnmacht zu verfallen, nach eigener Selbstbestimmung seine verfassungsmäßige Entwickelung und seine Wohlfahrt pflegen und in dem Rathe der Völker seinen friedliebenden Beruf zu erfüllen vermag. Ich hege das Vertrauen zu Gott, daß die Nachwelt im Rückblick auf unsere gemeinsamen Arbeiten nicht sagen werde, die Erfahrungen der früheren mißlungenen Versuche seien ohne Nutzen für das Deutsche Volk geblieben, daß vielmehr unsere Kinder mit Dank auf diesen Reichstag als den Begründer der Deutschen Einheit, Freiheit und Macht zurückblicken werden. Meine Herren! Ganz Deutschland, auch über die Grenzen unseres Bundes hinaus, harrt der Entscheidungen, die hier getroffen werden sollen.
Möge durch unser gemeinsames Merk der Traum von Jahrhunderten, das Sehnen und Ringen der jüngsten Geschlechter der Erfüllung entgegengeführt werden.
Im Namen aller verbündeten Regierungen, im Namen Deutschlands fordere Ich Sie vertrauungsvoll auf: helfen Sie uns die große nationale Arbeit rasch und sicher durchzuführen. Der Segen Gottes aber, an welchem Alles gelegen ist, begleite und fördere das vaterländische Werk!"
Stenographische Berichte Über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867. Seite II.